Positionierung zum aerotoxischen Syndrom in Verkehrsflugzeugen und den Gefahren für Passagiere  

Die Vereinigung Passagier bewertet das aerotoxische Syndrom als Gesundheitsrisiko für Passagiere und fordert, die Kontamination der Kabinenluft mit aerotoxischen Stoffen zu verhindern. 

Was ist das Problem? 

Die Luft in den Kabinen von Verkehrsflugzeugen wird seit den 60er Jahren per Zapfluft (engl. Bleed Air) aus den Triebwerken abgezweigt, um die Druckkabine zu betreiben und damit ausreichend Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Diese Luft kommt ungefiltert und somit mit allen Schadstoffen in die Kabine. Sie wird dann von Passagieren, Piloten und Flugbegleitern eingeatmet. Neben Enteisungsmitteln können auch hoch legierte synthetische Hydrauliköle und Triebwerksöle in der Zapfluft enthalten sein. Besonders die letzten beiden sind hochproblematisch, da diese verschiedenste gesundheitsschädliche Substanzen enthalten. Alleine nur durch die Komprimierung der angesaugten Luft im Kompressorbereich des Triebwerks werden bis zu 450 Grad Celsius erreicht.  

Da diese Öle einen Rauchpunkt, also einen Beginn anfänglicher Verbrennung von 270 bis 290 Grad Celsius haben, ergibt sich eine sogenannte Pyrolyse, also eine Zersetzung, bzw. eine thermo-chemische Spaltung organischer Verbindungen.  

Bei diesem Vorgang können hoch toxische Stoffe freigesetzt werden wie Phenyl-Naphthylamine und Organophosphate, darunter Trikresylphosphat (TKP, engl.: TCP).  

Siehe Studie der Europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA Link: 

https://www.easa.europa.eu/sites/default/files/dfu/EASA%20AVOIL_final%20report_final%20version_160217.pdf

Auf den Seiten 93-96 werden 127 Stoffe aufgeführt, die bei der Pyrolyse von Triebwerksölen identifiziert wurden. Auf Seite 118 wird beschrieben, dass einerseits eine „intakte Lungenbarriere“ eine Gesundheitsgefährdung ausschließt und dass die individuelle enzymatische Entgiftungsfähigkeit über die Cytochrom P450, über die die meisten identifizierten Stoffe verstoffwechselt werden, weitgehend unbekannt ist. (largely unknown) 

Weiterhin wird bei der beginnenden, aber noch nicht vollständigen Verbrennung nur durch das erhitzen bei der Kompression, Kohlenmonoxid freigesetzt.  

Anmerkung: 

Der eigentliche Verbrennungsvorgang im Triebwerk findet erst nach der Zapfluftabnahme in der Brennkammer statt. 

Es gibt keine Studien über die Auswirkungen dieser Substanzen bei Passagieren oder Flugbegleitern. Da es keinen linearen Zusammenhang zwischen der Zeit im Flugzeug und der toxischen Wirkung gibt, kann auch schon ein Flug reichen um nachhaltige Schäden davon zu tragen. Auch gibt es in der Druckkabine Besonderheiten in Bezug auf die Wechselwirkung, denn der niedrige Sauerstofffelddruck, geringere Luftfeuchtigkeit und vor allem auch die Wirkung der Stoffe miteinander haben noch unerforschte Auswirkungen auf die Gesundheit.  

Die gesetzliche Lage ist eindeutig. Bei der Zulassung von Flugzeugen dürfen keine gefährlichen Stoffe in der Kabinenluft (Atemluft) nachgewiesen werden.  

Mittlerweile erkennen jedoch auch Fluggesellschaften und Triebwerkshersteller an, dass es kein dichtes Triebwerk gibt. Lufthansa arbeitet z.B. an einem Filtersystem.  

Die FAA (amerikanische Bundesluftfahrtbehörde) stellt fest, dass nichts von diesen Anforderungen umgesetzt wurde. „Aufgrund der fehlenden Luftschadstoffüberwachungssysteme erfüllt derzeit kein Flugzeugdesign die Anforderung der CS 25.831; diese Überwachungssysteme sollen sicherstellen, dass die Luft für die Insassen frei von gefährlichen Verunreinigungen ist“ (Quelle: FAA). In Deutschland ist die BfU (Flugunfalluntersuchungsbehörde) zuständig, Vorfälle mit kontaminierter Kabinenluft zu untersuchen. Die BfU analysierte 663 gemeldete Ergebnisse in 2014. Eine der Feststellungen: …Es gab deutliche Anzeichen, die auf gesundheitliche Belastungen im Sinne der Arbeitsmedizin für Flugzeugbesatzungen und Kabinenbesatzungen hindeuten…“, „…dass standardisierte Verfahren für die Meldung und Nachweisführung (Blutuntersuchungen) nicht vorliegen“, „In wenigen Fällen waren die Sicherheitsreserven so weit reduziert, dass eine […] hohe Unfallwahrscheinlichkeit bestand“. 

Die Vereinigung Cockpit hat mit verschiedenen Organisationen und Gremien wie dem Deutschen Institut für Normung (DIN), der American Society of Heating, den Refrigerating and Air-Conditioning Engineers (ASHRAE) und der Society of Automotove Engineers (SAE) sowie mit den Herstellern von Sensoren Kontakt aufgenommen und festgestellt, dass es in Deutschland geeignete Geräte gibt, die auch für den Einsatz in Flugzeugen modifiziert und entsprechend eingebaut werden können. 
 

Was ist das aerotoxische Syndrom? 

Das aerotoxische Syndrom ist ein Sammelbegriff für Gesundheitsschädigungen durch verunreinigte Kabinenluft (Atemluft) in Verkehrsflugzeugen. Hersteller und Fluggesellschaften sprechen von „Fume Events“ oder „Smell Events“, wenn verunreinigte Luft in die Kabine gelangt. Man sollte sich allerdings nicht von diesen Namen irritieren lassen, denn die Dämpfe können unsichtbar und geruchslos sein. Mögliche Symptome, die unter dem Sammelbegriff des aerotoxischen Syndroms zusammengefasst werden sind: 

Das perfide ist, dass diese Symptome sich nicht sofort einstellen müssen. Sie können sich über Tage oder Wochen entwickeln, weshalb Betroffene diese Symptome nicht mehr mit der Flugreise in Zusammenhang bringen. Die Giftstoffe können nicht nur über die Atemluft, sondern auch über die Haut aufgenommen werden. 

Bezüglich einer notwendig vorhandenen intakten Lungenbarriere sagt die Deutsche Patientenliga Atemwegserkrankungen – DPLA e.V., das chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen eine Volkskrankheit sind – etwa 10% der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen. 
Link: 
https://www.pat-liga.de/unser-verein.html 

Um zu verstehen woher die Gefahr kommt, muss man wissen was Zapfluft eigentlich ist. 

Moderne Flugzeuge fliegen in 12.000 Metern oder höher. In dieser Höhe ist es für den Menschen nicht möglich ohne Hilfsmittel zu überleben. Bergsteiger nehmen Sauerstoff mit auf Ihren Wanderungen in die höchsten Berge dieser Welt. Moderne Verkehrsflugzeuge befinden sich noch sehr viel höher. Nicht nur die geringer Luftdichte von 25% gegenüber der am Boden, sondern auch die niedrigen Temperaturen von -50 Grad Celsius machen es nötig, den Druck und die Sauerstoffversorgung durch kontrollierte Zufuhr von Frischluft so zu gestalten, dass Passagiere im Flugzeug überleben können. Flugzeugkabinen werden durch Luftzufuhr unter Druck gesetzt, um eine Höhe von ca. 1500 bis 2000 Meter zu simulieren. Um diesen Druck zu erhalten, muss kontinuierlich Luft in Kabine gepumpt werden. Die komplette Luft in der Kabine wird je nach Modell in 3 – 6 Minuten komplett ausgetauscht. Neben der Menge an Luft ist die Temperatur eine Herausforderung. Die Außenluft wird durch die Komprimierung im Kompressorbereich stark erwärmt Dies wird durch das ECS (engl. environmental control system, deutsch Umgebungskontrollsystem) gesteuert. Die Aufgaben des ECS sind Luftaustausch, Druck-, sowie Temperaturregelung in der Kabine der Flugzeuge für Besatzung, Passagiere und Gepäckräume. 

Die Zapfluft (engl. bleed air) ist nichts anderes als Druckluft, welche aus dem Verdichter vor der Verbrennung entnommen wird. Am Boden wird diese aus der APU (engl. Auxiliary power Unit, Deutsch Hilfsgasturbine) entnommen oder von außen zugeführt. Die Zapfluft kann je nach Abnahmestelle einen Überdruck von mehreren bar haben und bis zu 450 Grad Celsius heiß sein. Danach gelangt die Zapfluft über Precooler (Vorkühler) mit ca. 200 Grad Celsius in die Air Conditioning Packs (deutsch Klimaaggregate) und wird weiterverteilt in die verschiedenen Systeme um die Luft- und Sauerstoff – Menge, Temperatur, Luftfeuchtigkeit aber auch die verbrauchte Luft aus der Kabine zu regulieren. Ein Anteil von bis zu 50% der Luft wird wieder der Kabinenzuluft zugeführt, die sogenannte Recirc Air.  

Darin befinden sich sogenannte Hepa-Filter, die Stäube und Bakterien NUR aus der Recirc Air filtern. Wenn diese Filter dann noch eine Lage Kohlenstofffilter besitzen, kann dieser auch noch sogenannte VOC´s (Volatile Organic Compounds), also flüchtige organische Verbindungen herausfiltern. 

Wie hoch die Belastung bei der aktuellen Klimaanlagen-Architektur ist, zeigt sehr eindrücklich die Präsentation eines namhaften Filterherstellers auf der Seite des australischen Verteidigungsministeriums. 

Link: 

http://www.defence.gov.au/DASP/Docs/AgencyConferenceDocumentation/PropulsionSymposium/2017/MrEricBulaCabinAirQuality.pdf

Diese zunächst in die Kabine eintretende Luft wird also nicht gefiltert.  

So kann es zu Verunreinigungen der Kabinenluft durch Triebwerksöle kommen, wenn die Lagergehäusedichtungen der Triebwerkswellenlager aufgrund von Verschleiß undicht werden. 

Triebwerke werden seit der Umstellung der Wartungsverfahren Ende der neunziger Jahre nicht mehr in regelmäßigen Abständen überholt. D.h., vom Flugzeug abgebaut, völlig zerlegt, befundet und beim Zusammenbau mit neuen Gehäuselagerabdichtungen versehen.  

So hat z.B. der Triebwerkshersteller General Electric im Jahre 2009 der Fluggesellschaft TUI-Fly gratuliert, dass eines ihrer CFM 56 Triebwerke mittlerweile schon 40.000 Flugstunden an der Tragfläche verblieb, ohne jemals eine Triebwerkswerkstatt gesehen zu haben.  
https://www.geaviation.com/press-release/jv-archive/tuifly-cfm56-7b-engine-logs-40000-hours-wing-without-removal 

Das gleiche passierte dann noch einmal im Jahre 2012 mit bisher absolvierten 50.000 Flugstunden. 
https://www.geaviation.com/press-release/jv-archive/cfm56-7b-engine-service-tuifly-sets-new-first-run-world-record 

Es wird erst proaktiv gehandelt, wenn erste Undichtigkeiten von den Besatzungen bemerkt werden. Es gibt kein Wartungsverfahren, was mindestens ein einmaliges einatmen dieser Pyrolyseprodukte bei einsetzender Undichtigkeit verhindert. Der Hersteller gibt klare Anweisungen, was in einem solchen Fall zu tun ist. 

Die Quelle der Undichtigkeit muss identifiziert werden, danach eliminiert werden und letztlich muss jegliche Kontamination in der Klimaanlage entfernt werden, notfalls mechanisch mit Lappen und ggf. mit Lösemitteln. 

Die Airlines führen jedoch die Wartung der Maschinen selbstbestimmt und ohne dauernde behördliche Kontrolle durch. Behördlich lizensiertes technisches Prüfpersonal ist in einem Abhängigkeitsverhältnis angestellt. Zeitdruck und die neuerlichen gesetzlich geregelten Kompensationen an Passagiere bei Verspätungen und Flugausfällen haben die Situation noch weiter verschärft. 

Wie kann Hydraulikflüssigkeit in die Kabinenluft gelangen? 
 

In der Regel besitzen heutige Verkehrsflugzeuge wegen der Systemredundanz drei unterschiedliche Hydrauliksysteme. 

Aufgrund der geringen Umgebungsluftdrücke in den Reiseflughöhen und zur Vermeidung des Aufschäumens der Rücklaufflüssigkeit in die Hydraulikflüssigkeitsbehälter werden diese auch mit Zapfluft vom Triebwerk kommend bedruckaufschlagt. Zur Vermeidung eines möglichen Rückflusses von mit Hydraulikflüssigkeit gesättigter Luft in die Zapfluftleitung, aufgrund wechselnder Drücke in der Zapfluftleitung, sind zwei Rückschlagventile in diese Bedruckaufschlagungsleitung eingebaut. Diese Ventile müssten jedoch regelmäßig ausgebaut und gereinigt werden, was jedoch oftmals unterlassen wird. 

Eine Studie von 2013, durchgeführt von Lufthansa und der Berufsgenossenschaft Verkehr, hat im überwiegenden Teil der untersuchten 332 Urinproben der studienteilnehmenden Besatzungsmitglieder erhöhte Metabolite, also Stoffwechselprodukte von Tributylphosphat gegenüber der Normalbevölkerung nachgewiesen. Hydraulikflüssigkeit besteht zu 60 bis 100% aus diesem TBP. 

 
Dieser Stoff ist zu 99,86% krebserregend, endokrin disruptierend, also hat hormonveränderndes gesundheitliches Schädigungspotential, kann unfruchtbar machen und ist letztlich noch ein Cholinesterasehemmer, eine Eigenschaft ähnlich einem Nervenkampfstoff. 

Da diese Studie nur das Vorhandensein von TCP nachweisen sollte, wurde das nachgewiesene TBP nie arbeitsmedizinisch toxikologisch weiter bewertet.  

Was sind die Alternativen zu Zapfluft? 

Um die Nachteile und Risiken der Zapfluft zu umgehen, muss man die Systeme (z.B. Kabinendruck, Enteisung) mit einem elektrischen Kompressor betreiben. Die Boeing 787 ist das erste Verkehrsflugzeug mit der RAM Air, also ohne Zapfluft.  

In einem Statement von Boeing bei dem britischen Parlament aus dem Jahre 2007 wird u.a. folgendes erwähnt: 

„The Boeing 787 will have a no-bleed architecture for the outside air supply to the cabin. This architecture eliminates the risk of engine oil decomposition products from being introduced in the cabin supply air in the rare event of a failed engine compressor seal. In addition, this architecture improves fuel efficiency, thus reducing fuel burn and associated engine emissions.” 

(…Diese Architektur schließt das Risiko von Zersetzungsprodukten durch Triebwerksöl in die Kabinenzuluft, bei den seltenen Vorfällen des Versagens einer Triebwerkskompressordichtung, völlig aus. Zusätzlich wird dadurch der Kraftstoffverbrauch reduziert und damit auch die Emisionen des Triebwerkes.) 

Link: 

https://publications.parliament.uk/pa/ld200708/ldselect/ldsctech/7/7we07.htm

Es werden Rolls-Royce Trent 1000 oder GEnx-1B Triebwerke verwendet und man verzichtet auf die pneumatischen Systeme. 

Liebherr Aerospace hat für die Airbus A320 Serie auch eine Alternative zur Zapfluft mit RAM Air entwickelt, diese wurde jedoch noch bisher von keiner Fluggesellschaft bestellt. 

Link: 

http://www.aeronewstv.com/en/industry/research-innovation/3022-electrical-air-conditioning-pack-on-trial.html

Forderungen der Vereinigung Passagier 

Einzelnachweise: 

Studie über gemeldete Ereignisse in Verbindung mit der Qualität der Kabinenluft in Verkehrsflugzeugen.

Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, 7. Mai 2014,abgerufen am 26. Mai 2014 

787 No-Bleed Systems: Saving Fuel and enhancing operational efficiencies, Beschreibung bei boeing.com, englische Sprache 

Lufthansa Flight Training – Airframe and systems 2, Verkehrsfliegerschule, Bremen März 2001 

Vereinigung Cockpit, kontaminierte Kabinenluft https://www.vcockpit.de/themen-und-positionen/flugsicherheit/safesky-2016/kontaminierte-kabinenluft.html 

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www.VPassagier.com 

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Redaktion 
L. F. Corsten, S. Duwe

April 2018